Telefon-Fundraising von Australien bis Deutschland   

Das Fundraising-Magazin hat unseren Kollegen Andrew Simmons, Teamleiter für den Bereich Telefon-Fundraising und ursprünglich aus Australien, für seine Ausgabe 4/2024 interviewt. Wir dürfen das Interview freundlicherweise auch auf unserer Webseite veröffentlichen und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen! 

Viele machen Work and Travel in Australien – Andrew Simmonds dagegen zog zum Arbeiten von Sydney zunächst nach Braunschweig, dann in die Nähe von Münster. Als Teamleiter für den Bereich Telefon- Fundraising bei der Agentur Socialminds ist er verantwortlich für Telemarketing-Strategien und -Zielerreichungen sowie die Mitarbeitendenzufriedenheit. Im Interview erzählt er von Small-Talk-Fails, seinen ersten Erfahrungen mit Eis und Schnee, vom Kulturschock anlässlich eines Schützenfestumzugs, und er verrät, was es mit der Tonfall-Pyramide auf sich hat.

 

Andrew Simmons, Teamleiter für den Bereich Telefon-Fundraising bei der Agentur Socialminds

Andrew Simmons, Teamleiter für den Bereich Telefon-Fundraising bei Socialminds

Was nervt mehr: Das deutsche Wetter, das deutsche Essen oder das deutsche Internet?
Ohne eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen: das Wetter. Es klingt wie ein Klischee, aber ich bin es eigentlich gewohnt, morgens aufzuwachen und entweder mit meinen Hunden joggen zu gehen oder zu surfen. Ich habe in Australien immer fußläufig vom Strand gewohnt.

In meinem ersten Winter in Deutschland hatte ich keine Ahnung, was mich hier tatsächlich erwartet. Ich hatte vorher noch nie Schnee gesehen und als ich das erste Mal auf Glatteis stand, fühlte ich mich wie ein Eiskunstläufer – aber ohne Anmut!

Und was ist in Braunschweig besser als in Sydney?
Auch wenn ich inzwischen von Braunschweig Richtung Münster gezogen bin, fühlt es sich immer noch wie meine „Heimatstadt” an. Da es keine Großstadt ist, kennen sich die Menschen oft untereinander, und es herrscht ein echtes Gefühl der Wärme und des Willkommenseins. Ich liebe diese enge Gemeinschaft dort. Auch die historische Architektur finde ich beeindruckend, allen voran das Residenzschloss.

Wenn Sie sich den australischen und den deutschen Fundraising-Markt anschauen: Was ist da für Sie der größte Unterschied?
Als Australier in Deutschland bringe ich schon einen anderen kulturellen Hintergrund mit. In Australien gibt es diese charmante Ungezwungenheit in der Kommunikation. So wird von Anfang an eine warme und freundliche Atmosphäre mit Spenderinnen und Unterstützern geschaffen.

In Deutschland wird dagegen viel mehr Wert auf Formalitäten gelegt. Und diese formellere Herangehensweise führt zu einem hohen Maß an Effizienz und Professionalität – was ich persönlich sehr zu schätzen weiß.

Solche kulturellen Unterschiede bereichern mich persönlich und beruflich. Und das wiederum führt zu Überlegungen, die australische Lockerheit und deutsche Formalität zu kombinieren, um ganz neue Gesprächsstrategien zu entwickeln.

Was macht für Sie ein gutes Telefon-Gespräch aus?
Wahrscheinlich haben die meisten Fundraiserinnen und Fundraiser sofort eine Spende vor Augen, wenn sie dies lesen. Spenden sind wichtig, keine Frage. Ein anderes wichtiges Ziel ist es aber auch, Unterstützerinnen und Unterstützer (und damit meistens Spenderinnen und Spender) zu informieren und eine Verbindung zu ihnen zu knüpfen. Jeder Anruf ist eine neue Gelegenheit, mit den Menschen auf einer tieferen Ebene ins Gespräch zu kommen und ihnen die Bedeutung der Sache, für die wir uns einsetzen, zu vermitteln.

Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel zu einem erfolgreichen Anruf im Aufbau einer echten Beziehung und einer sinnvollen Interaktion mit den Unterstützenden. Ohne ein echtes Engagement und Vertrauen ihrerseits ist es unwahrscheinlich, dass sie für die Botschaft einer NPO empfänglich oder bereit sind, einen finanziellen Beitrag zu leisten.

Worauf muss ich denn achten, damit ein Gespräch zu einer Spende führt?
Aktives Zuhören ist immens wichtig. Indem wir uns die Anliegen, Interessen und Motive der Unterstützenden genau anhören, können wir unsere Botschaft so formulieren, dass sie mit den Werten und Vorlieben der Gesprächspartner übereinstimmt. Das zeugt von Einfühlungsvermögen und schafft Vertrauen – was letztlich die Spendenwahrscheinlichkeit erhöht.

Klingt plausibel. Aber wenn ich dann mit den Leuten spreche: Wie mache ich das am besten?
Die „Tonfall-Pyramide“ steigert meiner Erfahrung nach auch die Spendenwahrscheinlichkeit. Dazu gehört, dass unsere Call-Center- Kolleginnen ihre Art und Weise des Sprechens an die jeweilige Phase des Gesprächs anpassen. Wird zum Bespiel über ernste Themen wie Tiermissbrauch gesprochen, verwenden sie einen eher leisen und einfühlsamen Tonfall. Geht es dann aber um das Sammeln von Petitionsunterschriften für mehr Tierschutz, wird eine optimistischere Tonalität eingesetzt. Indem wir für jeden Teil des Gesprächs buchstäblich den richtigen Ton treffen, können wir die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Anliegens angemessen vermitteln, ohne dabei künstlich oder unaufrichtig zu wirken.

Und schließlich ist auch das Gesprächsende von großer Bedeutung. Wir wollen mit jedem Anruf ein positives Gefühl bei den Menschen hinterlassen. Ein freundliches und einfühlsames Auftreten während des Gesprächs, gepaart mit einem ehrlichen Dankeschön für die Zeit, die sie sich genommen haben, und das Zurverfügungstellen relevanter Informationen über das Anliegen hinterlassen bleibenden Eindruck – und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Angerufene weiter, mehr oder überhaupt engagieren.

Da hört man den Profi. Wie sind Sie eigentlich zum Fundraising gekommen?
Mit 18 Jahren bin ich in Sydney als Call-Center- Agent bei Amnesty International gestartet. Bei meiner Bewerbung für den Job war ich fest entschlossen, einen guten Eindruck zu machen. Also habe ich vorab zu Amnesty recherchiert, mein eigenes Telefon-Skript zum Jobinterview mitgebracht und den Job bekommen. Später übernahm ich die Leitung der gesamten Abteilung der Bestands- und Einmalspender und führte mit meinem Team Kampagnen zu Upgrades, Reaktivierungen und so weiter durch.

Für welche NPOs in „Down Under“ haben Sie noch gearbeitet?
Von kleinen lokalen Initiativen bis hin zu großen globalen Organisationen wie Greenpeace, World Animal Protection oder Humane Society International war alles dabei. Bei den weltweit tätigen Organisationen gab es eine sehr breite Reichweite, sodass es einfacher war, mit potenziellen Spendenden in Kontakt zu treten. Solche Organisationen neigen auch dazu, neue Ansätze und Instrumente für die Lead-Generierung einzusetzen und Datenmanagement auf hohem Niveau zu betreiben.

Ist Ihnen eine Kampagne besonders im Gedächtnis geblieben?
Auf jeden Fall! In sehr lebhafter Erinnerung habe ich die Anfrage von Save the Children Australien. Save the Children wollte vorab Fernsehwerbespots im großen Stil schalten, also mussten wir zum ersten Mal eine Inbound-Telefonkampagne mit Direct Response Television (DRTV) kombinieren. Das war vor allem beim Backend-Prozess eine große Herausforderung. Neben den üblichen To-dos, also Gesprächsleitfäden erstellen, Briefing der Agents und so weiter, musste ich dafür sorgen, dass unser Telefonsystem die zu erwartenden vielen Anrufe stemmen konnte. Eine Menge Arbeit, aber zu erleben, wie am Ende alles nahtlos zusammenlief, war unglaublich schön mit anzusehen!

Welche Qualitäten schätzen Sie besonders bei den Agents?
Gute Telefon-Fundraiserinnen und -Fundraiser sind für mich Menschen, die nicht nur irgendwelche Ergebnisse erzielen wollen, sondern den ehrlichen Wunsch haben, zu helfen, zu lernen und sich ständig selber zu verbessern. Intrinsische Motivation spielt da für mich die entscheidende Rolle – insbesondere in einem Arbeitsumfeld, in dem viel Remote gearbeitet wird und Mikromanagement wenig zielführend ist. Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen, die von ihrem eigenen Wunsch nach Erfolg angetrieben werden und proaktiv nach Möglichkeiten suchen, sich selbst und den Prozess als solches zu verbessern.

Klar, Techniken und Skills wie die passende Tonalität, der Aufbau von zwischenmenschlichen Beziehungen und der professionelle und positive Umgang mit Gegenargumenten, Bedenken oder Ablehnungen können gelernt werden. Es hängt aber auch stark davon ab, ob man wirklich bereit ist und Lust dazu hat, zu lernen und zu wachsen.

Was bedeutet das in der Praxis?
Beim Start neuer Kampagnen haben wir ein Auge darauf, dass das Profil der einzelnen Agents zum Kampagneninhalt passt: Wie sehr interessiert sie oder ihn das Thema? Findet eine Identifikation statt? Passt es vom Alter her und kann sich die Person deshalb gut in die Zielgruppe hineinversetzen? Wir wollen unseren Mitarbeitenden Projekte geben, zu denen sie eine Affinität haben. Darauf achten wir auch beim Recruitment neuer Teammitglieder.

Apropos Recruitment: Der Fachkräftemangel hat in Deutschland ja inzwischen fast alle Bereiche erfasst. Hohe Fluktuationsraten sind in der Call-Center- Welt nicht unüblich. Was lässt sich dagegen tun?
Oft kündigen Mitarbeitende, weil der Druck, bestimmte Zielvorgaben zu erreichen, hoch ist. Psychologische Studien haben aber gezeigt, dass übermäßiger Stress die Leistung eher einschränkt, statt sie zu steigern. Die Leistung der Call-Center-Agents ist natürlich wichtig, sollte aber nur ein Bestandteil sein für eine Arbeitsumgebung, die den Teamerfolg fördert.

Was heißt das konkret?
Wir nehmen uns Zeit für jede einzelne Person, um die jeweiligen Talente zu erkennen und zu fördern. Außerdem legen wir großen Wert auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden. Anstelle der „Holzhammermethode“ ist uns eine wertschätzende Kommunikation wichtig. Wir wollen eine positive Atmosphäre schaffen, bei der Transparenz und die Anerkennung der Stärken und Schwächen aller Einzelnen im Team im Fokus stehen.

Die Mentalität der Menschen in Australien und Deutschland soll ja sehr unterschiedlich sein. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht: Entsprechen die Deutschen dem Stereotyp vom bürokratischen Spießer?
Ich würde sagen: ja und nein. Die Deutschen lieben ihre Regeln, und es gibt viele bürokratische Hürden zu überwinden, um hier leben und arbeiten zu können. Aber mit der Zeit habe ich erkannt, dass das ein Stück weit einfach zum Charme gehört.

Und auch wenn die Abläufe sehr komplex sein können, würde ich nicht alle Deutschen über einen Kamm scheren. Wenn überhaupt, dann sind die Deutschen beeindruckend effizient.

In Australien gibt es auch Regeln, aber mit viel weniger Papierkram.

Gibt es lustige oder unerwartete Begegnungen oder Erlebnisse, die Ihnen seit Ihrem Umzug nach Deutschland passiert sind?
Es war an einem meiner ersten Wochenenden in Deutschland, in einem idyllischen Dorf in der Nähe von Braunschweig, als ich draußen laute Musik und Sprechchöre hörte, die immer lauter wurden. Ich spähte durchs Fenster und sah eine bunte Parade, die meisten mit Luftgewehren bewaffnet und begleitet von einem dröhnenden Orchester. Mein erster Schützenfestumzug! Das war ein Kulturschock und ein toller Anblick in einem.

Und dann sind da noch die kleinen Eigenheiten. Ich habe in einem Café bezahlt und, wie in Australien üblich, auf Deutsch nach den Wochenendplänen der Kassiererin gefragt. Ich erntete verwirrte Blicke und kurz angebundene Antworten. Ja, ich habe sehr früh gelernt, wie man Smalltalk richtig einsetzt!

Welche Freizeitaktivitäten oder lokalen Traditionen haben Sie in Deutschland entdeckt, die Ihnen gefallen könnten? Sind Sie schon Mitglied in einem ordentlichen deutschen Verein?
Es macht mir Spaß, mich selbst herauszufordern und zu sehen, wie ich Fortschritte mache. Deshalb verbringe ich meine Zeit gerne auf dem Tennisplatz meines lokalen Vereins. Und kürzlich habe ich das Laufen für mich entdeckt: Gerade erst war ich mit einem Socialminds-Team beim Berliner Firmenlauf dabei – das war eine superschöne Erfahrung.

Und ich bin, wie viele Deutsche auch, sehr gerne outdoor unterwegs. Wir erkunden regelmäßig die schöne Umgebung von Münster mit unserem Hund – ein Whippet, der mit uns aus Australien nach Deutschland gezogen ist.

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